Mittwoch, 24. April 2024


Theater

Uraufführung am 11. Juli 2019 im Münchner Stadtraum

Kein Kläger

NS-Juristen und ihre Nachkriegskarrieren von Christiane Mudra Ein interaktives Game im Stadtraum mit Zeitzeugnissen und Schauspielern

Am Mi, 28.10.um 19:30 Uhr,
Fr, 30.10. um 18:00 Uhr und am Sa, 31.10. und So, 1.11. um 17:00 Uhr
im Rahmen des RODEO-Festivals
Uraufführung am Donnerstag, 11. Juli 2019 um 19.30 Uhr
Weitere Vorstellungen am 12.-14. Juli, 17.-19. Juli sowie 21. Juli 2019 um jeweils 19.30 Uhr
Treffpunkt: Bushaltestelle Riesstraße (Linie 175), Ecke Hanauer Str./Riesstraße am OEZ, 80993 München
siehe Karte: www.google.com/maps

Karten unter https://www.google.com/maps/place/Riesstra%C3%9Fe/@48.184568,11.5311022,17z/data=!3m1!4b1!4m5!3m4!1s0x479e76f135d0fc8d:0x306a7fbcdb145524!8m2!3d48.184568!4d11.5332909
Bitte bringen Sie Ihr geladenes Smartphone und nach Möglichkeit eigene Kopfhörer mit. Leih-Kopfhörer werden bei Bedarf bereitgestellt. Für den etwa dreistündigen Rundgang mit MVG-Benutzung empfehlen wir bequeme Schuhe und ein MVG-Ticket.

»Kein Kläger« ist der dritte Teil einer Trilogie von Christiane Mudra.
Nach »Wir waren nie weg - die Blaupause« (2015, Exekutive) und »Off the record – die Mauer des Schweigens« (2016, Legislative) beleuchtet »Kein Kläger« die Bedeutung der Judikative.

Im Münchner Stadtraum trifft das Publikum auf Schauspieler*innen und Augmented Reality Clips mit eigens für die Produktion interviewten Zeitzeug*innen.
»Kein Kläger« beleuchtet Beispiele der Münchner Justizgeschichte und regt den Zuschauer an, sich mit juristischer Aufarbeitung sowie mit Errungenschaften und Schwächen des Strafrechts auseinanderzusetzen. 

Durch die Rechtsbeugung des Richters Neithardt konnte der Putschist Hitler bereits nach wenigen Monaten Haft in seinen Unterstützerkreis zurückkehren. 1924 wurde die Nachfolgepartei der zeitweise verbotenen NSDAP stärkste Kraft in München. 1943 verurteilte der Präsident des Volksgerichtshofs Roland Freisler zahlreiche Mitglieder der Weißen Rose in zwei Schauprozessen zum Tode. Seine in München wohnhafte Witwe bezog bis in die 90er Jahre eine erhöhte Rente. Am Münchner Oberlandesgericht waren nach 1945 Juristen von Sondergerichten und Volksgerichtshof tätig. Der Prozess gegen Philipp Auerbach (1952) trug antisemitische Züge und mündete in den Suizid des Angeklagten. Theodor Maunz, der als Professor dem NS-Regime juristische Legitimität zu verschaffen gesucht und die Gewaltenteilung zugunsten der Führergewalt wegargumentiert hatte, wurde bayrischer Kultusminister und Ordinarius an der LMU. Der Standardkommentar zum Grundgesetz trägt bis heute seinen Namen. Der Bundesjustizminister Engelhard schrieb 1989, er halte die Flucht vor der Aufarbeitung des eigenen »geräuschlosen Abgleitens in den Nationalsozialismus« für »die Fehlleistung der bundesdeutschen Justiz«.

Der Bundesgerichtshof kritisiert in einem Grundsatzurteil von 1995 mit scharfen Worten die »regelrechte Rechtsbeugung« der Nachkriegsjustiz. 

Am 11. Juli jährt sich das Urteil im NSU-Prozess am Münchner Oberlandesgericht zum ersten Mal. Prozessbeteiligte und -beobachter fragen sich bis heute, warum das Gericht ausgerechnet bei den beiden aktiven Rechtsextremisten unter den Angeklagten weit unter der Strafmaßforderung der Bundesanwaltschaft blieb.
Verheerend war das Signal definitiv. Den Schlussakkord in einem der wichtigsten Nachkriegsprozesse bildete selbst 2018 der johlende Applaus der Neonazis, in den sich das Schluchzen der Hinterbliebenen mischte.

Vor dem Hintergrund der genannten Beispiele untersucht »Kein Kläger« exemplarisch Schauplätze, Urteile und juristische Karrieren, aber auch Fälle von gelungener Aufarbeitung.
Im Zentrum von »Kein Kläger« steht die Frage: Welche unverzichtbare Rolle spielt(e) die Justiz der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft bei der Eindämmung rechtsextremer und antisemitischer Gewalt? 


Trilogie zu NS-ideologischen Kontinuitäten 
 
»Kein Kläger« ist der dritte Teil von Christiane Mudras Trilogie zu rechten (ideologische) Kontinuitäten:

»Wir waren nie weg. Die Blaupause« (Teil 1. Western, 2015) hatte die personellen und ideellen Kontinuitäten zwischen dem Oktoberfestattentat und den NSU-Morden zum Thema. Anhand von Originalzitaten aus Sicherheitsbehörden und rechten Propagandaschriften wurden Motive wie die viel zitierte Einzeltätertheorie widerlegt und widersprüchliche Ermittlungsergebnisse und neonazistische Ideologien hinterfragt.

»Off the record – die Mauer des Schweigens« (Teil 2. Live-Hörspiel mit Stummfilmelementen, 2016/ Hörspielfassung auf Deutschlandradio Kultur 2016) beschäftigte sich mit der Rolle der Parlamentarier in den NSU-Untersuchungsausschüssen, der V-Mann-Problematik im NSU-Kontext und der Rolle der Presse. 

2019 spielt »Kein Kläger« mit Science Fiction Motiven.
Die Teilnehmer*innen reisen vom Tatort des jüngsten Münchner Attentats am Olympiaeinkaufszentrum zurück in die Nachkriegsjahre.
Mittels Smartphones und Tablets begegnen ihnen Fragmente aus eigens für die Produktion geführten Zeitzeugeninterviews, die in Augmented Reality wie mahnende Geister vor der Stadtkulisse zu ihnen sprechen. Opfer der NS-Justiz und –gesetzgebung kommen ebenso zu Wort wie Staatsanwälte des Auschwitz- und des Eichmann-Prozesses.
Die junge Bundesrepublik wird in „Kein Kläger“ zu einem neuen Lebensraum, den es, so die Mission der Darsteller*innen, zu gestalten gilt. Doch schon bald werden dunkle Geheimnisse und Gefahren enthüllt. Einzelne Schauspieler*innen kämpfen für Aufarbeitung, Neubeginn und demokratische Werte. Andere Darsteller*innen stemmen sich dagegen. Sie plädieren für Schlussstrich und Verdrängung zugunsten von Wiederaufbau und Wirtschaftswunder.
Zwischen diesen beiden Fronten begibt sich das Publikum auf eine Spurensuche an Originalschauplätzen. Mittels einer App auf dem Smartphone sammeln die Teilnehmer*innen Erkenntnisse aus der Vergangenheit in einem gemeinsamen Wissenspool und entwerfen Zukunftsideen. 


Infos zum Kontext 
 
Der Mythos der Entnazifizierung kann durch die personellen Kontinuitäten in fast allen Behörden und Ministerien der jungen Bundesrepublik widerlegt werden.
Eine überwältigende Anzahl von Staatsanwälten und Richtern mit NS-Vergangenheit prägte in den Nachkriegsjahrzehnten nicht nur Rechtsverständnis und Lehre, sondern war vielfach auch für die Ahndung von NS-Verbrechen verantwortlich.
Eingestellte Ermittlungsverfahren, Freisprüche und milde Urteile gegen die Täter waren an der Tagesordnung.
Dies entsprach durchaus dem politisch-gesellschaftlichen Klima, in dem der Kommentator der Nürnberger Gesetze Globke die rechte Hand von Kanzler Adenauer wurde, Josef Mengele unbehelligt nach Deutschland reisen konnte und eine Auslieferung von Adolf Eichmann undenkbar erschien.
Das Schweigen war kollektiv und einvernehmlich.

Kein einziger belasteter Richter oder Staatsanwalt wurde von einem deutschen Gericht rechtskräftig verurteilt.
Stattdessen waren Ankläger und Richter von Sondergerichten u.a. im Bundesjustizministerium, am Bundesgerichtshof und im Bundesverfassungsgericht vertreten. Sogar Richter des Volksgerichtshofs nahmen später an Gerichten in ganz Deutschland hohe Positionen ein.

Walter Roemer, der Leiter der Vollstreckungsabteilung am Landgericht München, der auch die Hinrichtung der Mitglieder der Weißen Rose bestätigte, war später im Bundesjustizministerium beschäftigt.
Auch Erbgesundheitsgesetzeskommentator Massfeller, der an einer Folgesitzung der Wannseekonferenz unter der Leitung von Adolf Eichmann teilgenommen hatte, arbeitete später im Bundesjustizministerium. 

Der Grundgesetz-Kommentar trägt bis heute den Namen Maunz-Düring. Theodor Maunz, ein Schüler des Staatsrechtlers Carl Schmitt, begründete 1937 die Abschaffung der Gewaltenteilung zugunsten der »Führergewalt«. 1952 wurde er Ordinarius an der LMU, 1957 bayrischer Kultusminister. Bis zu seinem Tod 1993 verfasste Maunz anonyme Artikel für die Deutsche National-Zeitung des rechtsextremen DVU-Vorsitzenden Gerhard Frey. 

Der Direktor der Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar, Hermann Pfannmüller, der mehrere tausend Tötungsempfehlungen im Rahmen der Euthanasieaktion ausgesprochen hatte, wurde nur wegen Beihilfe zum Totschlag zu 5 Jahren Haft verurteilt und blieb einer der wenigen verurteilten Euthanasietäter nach 1948.

Die Verjährungsfristen von Mord und Beihilfe wurden in den Nachkriegsjahrzehnten heiß debattiert. Erst am 3. Juli 1979 beschloss der Deutsche Bundestag, die Verjährung für Mord ausdrücklich aufzuheben.
Eduard Dreher, der am Sondergericht Innsbruck in der NS-Zeit mehrere Todesurteile wegen Lappalien verantwortet hatte, bewirkte noch 1968 eine unscheinbare Gesetzesänderung, durch die ein Großteil der NS-Taten außer Mord mit einem Schlag rückwirkend verjährte. Damit platzte der Großprozess gegen Mitarbeiter des Reichsicherheitshauptamts, dem organisatorischen Zentrum der Judenvernichtung.
Bis in die 80er Jahre gestanden deutsche Gerichte, bis hin zum Bundesgerichtshof, Euthanasiefunktionären und -ärzten, allesamt Ärzte und Juristen, strafmildernd einen entschuldbaren Verbotsirrtum wegen ideologischer Verblendung zu.
»Der Beschuldigte«, so hieß es in der Bewertung des Amtsgerichts Frankfurt 1960, »beging seine Tat zu einer Zeit, als das gesamte deutsche Volk irregeführt war.«

Die Schlussstrichdebatte in Politik und Gesellschaft setzte bereits in den ersten Nachkriegsjahren ein und wurde bis in die 80er Jahre von einer Mehrheit der Bevölkerung getragen.
Das nationalsozialistische Narrativ über den Widerstand der sogenannten »Roten Kapelle« wurde von zahlreichen Journalisten und Historikern jahrzehntelang kritiklos übernommen, die Widerstandskämpfer erneut verunglimpft. Das Gedenken an die Opfer der NS-Diktatur war und ist umkämpft. Der Bau des Berliner Holocaust-Mahnmals wurde erst 1999 beschlossen und 2005 eingeweiht. In München befand der Stadtrat 1985 eine dauerhaft brennende Flamme am Platz der Opfer des Nationalsozialismus allen Ernstes für zu teuer.

2018 verkündete der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland, Hitler und die Nationalsozialisten seien nur ein »nur ein Vogelschiss« in 1000 Jahren deutscher Geschichte. 2019 legt die AfD einen Gesetzentwurf vor, der sich klar am Gewohnheitsverbrechergesetz von 1933 orientiert und ein AfD-naher Staatsanwalt in Thüringen ermittelt rechtswidrig gegen das Künstlerkollektiv »Zentrum für Politische Schönheit« wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung.
Auch vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklungen beleuchtet »Kein Kläger« die Grundwerte von Rechtsstaatlichkeit und die unverzichtbare Rolle der Justiz bei der Eindämmung rechtsextremistischer und antisemitischer Gewalt.   



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